Montag, 30. Juli 2012

Grüße von der Algarve 1



Die Algarve wartet!

Die Koffer sind gepackt, die Hündin in liebe Pflegehände gegeben (das war hart und tat weh! So ein Scheiß mach ich nie wieder!), das Chaos und all der Mist vertagt auf nach dem Urlaub und jetzt ist es Zeit, sich für zwei Wochen zu verabschieden.
Oder auch nicht: mein Lap nehme ich mit (vielleicht habe ich da ja Internetzugang). Claudia stöhnt zwar, aber ohne mein liebstes Schreibgerät will ich nicht, auch wenn ich versuchen werde, mich auf ein, zwei Stunden täglich zu beschränken.

Meinen Koffer hatte ich übrigens in ner viertel Stunde gepackt und lag weit unter dem zulässigen Höchstgewicht. Bei Claudia sah (HiHi: sieht!) das anders aus.
Männer und Frauen sind verschieden. Das ist mal wieder ein Beweis.

Ich will die Beine und die Seele baumeln lassen. Ich will auf die Sorgen und Probleme scheißen und vierzehn Tage lang mein Hirn freiblasen. Ich brauche das. Ich will meine Liebe genießen. Am Meer, im Sonnenschein. Nur ich und meine Frau. Claudia braucht das. Vielleicht noch mehr als ich.
Und danach können wir durchstarten.
Aufhalten kann uns eh niemand, dafür haben wir uns und zusammen sind wir unschlagbar!
Oder so.

Mit 48 Jahren fliege ich jetzt zum ersten Mal in meinem Leben. Vielleicht stürzt das Ding ja ab. Oder ich kriege n Hirnschlag. Dann brauche ich mir weniger Gedanken machen.
Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings gering. Geringer als die Aussicht auf eine weltweite Revolution. Und auch die halte ich leider für unrealistisch.

Nee. Ich bin nicht so cool, wie ich wirken will. Aber ich bin ruhiger als meine Frau. Was aber auch keine große Kunst ist…

Ich lasse jetzt mal die Rettungsschirme, den Verfassungsschutz, die Politikerlügen und die Olympiade (Wer dopt am besten?) hinter mir. Ich ignoriere die Krankenkasse, die Rentenversicherungsanstalt, die Ärzte und das Arbeitsamt. Ich scheiß auf Kontoauszüge. Ich lasse meine Beine im Meer abkühlen. Und mehr ist nicht.

Die Gedichte von Arnd Dünnebacke, der Sardinien-Roman von Kersten Flenter und Thorsten Nesch, mein Lap, hoffentlich mit Internet-Möglichkeit, Tabak, Novalgintropfen. Dazu noch n paar Unterhosen, T-Shirts und so was. Was braucht der Mensch mehr?

Portugal.
Mit meiner Muttersprache komme ich da nicht weit. Ob die Menschen mein Englisch verstehen ist fraglich. Aber mit der Artikulation habe ich es ja eh nicht so.

Ich glaube, die Portugiesen mögen mittlerweile keine Deutschen mehr. Das ist normal, niemand mag die bevormundende Art und Weise der deutschen Staatsvertreter.
Diese mahnenden und angeblich vorbildlichen Streber, die von der europäischen Krise am meisten profitieren und den Griechen, Spaniern, Portugiesen und so weiter ihre Politik aufoktroyieren wollen.
Ich mag auch keine Deutschen mehr.
Ich kann nix dafür, dass ich einer bin.

So.
Jetzt nochmal in die Badewanne. Kopf rasieren, Pflegemittel einpacken. Dann die Bude saugen und den Flur putzen. Und zur Beruhigung zwei Bierchen und dann ins Bett.

Und Tschüss!

Vielleicht melde ich mich in vierzehn Tagen. Vielleicht auch schon aus dem Urlaub.

Habt ne gute Zeit!




Dienstag, 24. Juli 2012

In eigener Krebs-Sache:



Ich hasse das!

Morgen ist mal wieder so ein besonders anstrengender und unerfreulicher Tag. Ich muss zum ärztlichen Gutachten wegen meiner Rente.

Egal, ob der/die Arzt/Ärztin nett, kompetent oder verständnisvoll ist, ich komme mir da immer doof vor. Wie ein Simulant, ein Drückeberger, ein Bittsteller.
Dabei bin ich das nicht.

Ich habe ständige Schmerzen im Nacken- und Schulterbereich, daraus resultieren oft heftige Kopfschmerzen.
Im Winter friere ich wie Sau und beginne schnell zu zittern, was massig Kraft kostet.
Überhaupt Kraft: Heben und Tragen geht nicht mehr, nach zwanzig Minuten am Schreibtisch brauche ich eine Pause. Ich schaffe gerade mal meine täglichen Hunderunden und fühle mich wie über 70.

Dazu kommt noch das Fatigue-Syndrom: ich schlafe oft ein, könnte fast immer schlafen.
Ach ja: ich wiege 53 Kilo bei 1,72 Meter Körpergröße…
Meine Konzentrationsfähigkeit lässt zu wünschen übrig. Und so weiter.

Schlimmer sind mein Mund- und Rachenbereich.
Ich habe Kau- und Schluckbeschwerden, das Essen ist äußerst anstrengend und unästhetisch. Immer kämpfe ich mit der Aspirationsgefahr. Und schmecken (und riechen) tue ich nur eingeschränkt.
Meine Artikulation ist schwankend, aber immer mies und verdammt anstrengend.
Und mein Mund fast immer viel zu trocken und wenn da mal Speichel vorhanden ist, dann sabbere ich wie Sau, weil meine rechte untere Lippe nahezu gelähmt ist.
Ach ja: den Lippenschluss kriege ich auch nicht hin und dadurch ist das Trinken mit Strohhalmen unmöglich und das Rauchen extrem erschwert.

Im Januar 2007 wurde mein Krebs erkannt. Plattenepithelkarzinom (Ich gestehe: das klingt nicht besonders poetisch). Mir wurden die Lymphknoten am Hals entfernt (Neck-Dissection heißt das), mein Gaumen und ein großer Teil des Oberkiefers wurden rausgenommen und durch Transplantate aus dem linken Handgelenk (Gaumen) und der rechten Hüfte (Oberkiefer) neu aufgebaut. Ne heftige Strahlentherapie folgte. Dann bekam ich Implantate und habe jetzt ein wunderschönes Gebiss, wenn auch der Biss nicht richtig stimmt und ich jeweils nur drei Stifte (statt mindestens vier, im Idealfall sechs) im Kiefer implantiert bekam.
Aber die Ärzte und der Zahntechniker haben Wunderwerke und Kunststücke bei mir erschaffen. Das war mehr als okay!

Jetzt ist das über fünf Jahre her.
Und wer den Krebs bis dahin überlebt, der ist wieder gesund.
Sorry, bin ich nicht, werde ich nie werden.
Ich lebe und bin da dankbar und froh. Aber ich bin auf dem Arbeitsmarkt nicht vermittelbar und ich bin schon gar nicht in der Lage einer Lohnarbeit nachzugehen.
Und deshalb will ich meine Rente.
Finanziell ist das minimal, liegt unter Hartz IV, aber mir geht es vor allem um den Status. Und darum, dass ich sie mir verdient habe. Schließlich habe ich eingezahlt. Und die Vermutung, dass auch meine Arbeit ein möglicher Krebsauslöser war (aber wer weiß das schon…).

Morgen muss ich also zu einem Gutachter der Rentenversicherungsanstalt.
Eigentlich müssten meine Krankengeschichte und die Berichte der behandelnden Ärzte reichen, tun sie aber nicht.
Egal: jeder vernünftige Mensch, der mich und meine Konstitution sieht sollte wissen, dass ich nicht simuliere.
Und sollte ich wider Erwarten arbeitsfähig begutachtet werden, dann werde ich halt einen Widerspruch einlegen.

Wer den Krebs überlebt ist nach fünf Jahren geheilt?
Sorry, das ist Blödsinn, auch wenn es schön wäre.
Den Krebs an sich gibt es gar nicht, jede Krankheit ist eigenständig, individuell. Und die chronischen Beschwerden werden mich mein Leben lang begleiten, so gerne ich sie loswerden würde.

Mir geht es gut. Den Umständen entsprechend.
Ich lebe. Und selbst das ist ein Wunder.

Ich wäre gerne arbeitsfähig, habe meine Arbeiten als Krankenpfleger, Praxisanleiter, Wundmanager und Altentherapeut geliebt und würde sie gerne wieder ausüben.
Okay. Ich bin es nicht.
Ich bin behindert.
Und ein frühzeitig gealterter Schreiber, der das Beste aus seiner Situation macht.

Und seine Rente will.

Montag, 23. Juli 2012

Versuch: Die Liebe 2 - Trailer



Versuch: Die Liebe 2

Das Gedicht habe ich vor über zehn Jahren geschrieben. Kersten Flenter (genialer Dichter und Freund, damals auch Herausgeber der edition roadhouse) veröffentlichte es damals und ich glaube, dass ich nie wieder ein schöneres Cover hinkriegen werde.
Jetzt ist die Ausgabe von Kersten vergriffen und ich plane eine Neuauflage. Und daraus zitiere ich jetzt mal n paar Seiten vom Anfang und vom Ende:




Null:


10 Jahre später…
So viel ist passiert
So viel hat sich geändert

Da ist immer noch ein dicker fetter Mond am Himmel
da ist immer noch eine wärmende Sonne

Die Baby-Enten auf dem Hiltroper Teich
lassen sich dieses Jahr Zeit
der einsame Reiher wacht und scheint der Chef des Teiches zu sein
Unsere Hündin will immer noch jagen
wird aber etwas ruhiger
als wüsste sie
dass sie eh keine Chance hat

Der Regen nervt und die Feuchtigkeit tut körperlich weh
und ich werde keine Glanzparaden im Tor mehr vollbringen

Schröder wurde von Merkel abgelöst
die USA haben einen farbigen Präsidenten
der sogar den Friedensnobelpreis bekam
es hat sich trotzdem
nicht viel verändert
Weltweit scheint es schneller bergab zu gehen
Die Wehrpflicht ist abgeschafft und
der Atomausstieg in Dland wurde erst verschoben um nach Fukushima
dann doch vorangetrieben zu werden und plötzlich dann doch nicht
was weiß ich, wem glaube ich, Scheiße
Aber bei einer Sache bin ich sicher:
der VfL Bochum ist endgültig abgestiegen
Ich hatte mich im Job fest etabliert
bis ein mieser fieser Mundhöhlenkrebs mich endgültig raus katapultierte
(ich verspreche: das ist die einzige Krebszeile auf den folgenden Seiten!)

Ich bin nun Schreiberling, Rentner und Überlebender
Verheiratet und zwei Bücher und zehn Jahre später
tippe ich nun
an einer Wiederaufarbeitung von
„Versuch: Die Liebe“


(…)


Zwölf:


Da ist zum Beispiel Karl
15 Jahre verheiratet, 13 Jahre Hausbesitzer
die Kinder 12 und 10 Jahre alt
und der Hahn seiner Zapfanlage
läuft therapeutisch und analgetisch ohne Unterbrechung
Karl liebt sein Haus, seinen Sohn, seinen Job, seine Tochter, seine Frau
in dieser Reihenfolge
aber Karl liebt sein Leben nicht mehr
und vermisst die wilden Jahre und die Freiheit
und rastet immer öfters aus

Da ist zum Beispiel Jürgen
seine erste Frau liebte er endlos
und starb beinahe
als er sie beim Fremdgehen erwischte
Und arrangierte sich dann letztendlich mit einer anderen
um zu überleben
und nicht alleine zu sein
Ein Drittel Liebe, zwei Drittel Bier
Und manchmal dreht er durch und weint
und ich frage mich heimlich
ob damals Verzeihen nicht besser als das heutige Arrangement gewesen wäre

Tickende Zeitbomben

Da ist Christiane
eine starke Frau mit vielen geheimen Altlasten ihrer Vergangenheit
die sie sorgsam so fest verschlossen hat
dass sie selber nicht mehr rankommt
Sie läuft Marathon und versucht
sich das Leben schön zu reden und
mit den vielen Drogen ihres Lebens klar zu kommen
Ihr Partner ist ein Kompromiss
den sie mal wirklich liebte
den sie aber mittlerweile nur aus Gewohnheit und Bequemlichkeit behält

Da sind Miriam und Johann
die vor fünfzehn Jahren ein Paar waren
und seitdem nicht mehr fest zusammen kommen
obwohl sie ihr ganzes Leben gemeinsam verbringen
und gar keine Chance auf eine andere Liebe zulassen

Da sind Petra und Michael
die seit über dreißig Jahren verheiratet sind
und sich wirklich und ernsthaft immer wieder zusammengerauft haben
Ich denke, sie haben es geschafft:
sie haben ihre Liebe immer wieder repariert
anstatt sie wegzuschmeißen

Und da sind Claudia und ich
und es scheint
als wären wir beide angekommen
bei uns


Nein
Es ist nicht das Paradies auf Erden

Ab und zu
– aber immer seltener -
streiten wir uns
Ich bin früher jedem Streit aus dem Weg gegangen
habe mich einfach verpisst
und den Schwanz eingezogen
Jetzt lerne ich
das Streiten gar nicht dumm sein muss
wenn man sich wieder verträgt und Lösungen findet
und nicht an dem Grundsätzlichen zweifelt:
Liebe und Respekt

Claudia hat die Beschwerden einer Frau in den Wechseljahren
und das nervt uns beide
Ich habe meine Krebsüberbleibsel und meine depressiven Momente
außerdem bin ich Schreiberling
und dieser Menschenschlag ist einfach fürchterlich
und eigentlich beziehungsunfähig

Aber dann umarmen wir uns
und gucken in unsere strahlenden Augen
und streicheln uns und
berühren uns da
wo es was auslöst
und – ich mach jetzt mal drei Pünktchen –
Wir heben ab

Oder ich gehe mit unserer Hündin spazieren
und weiß schon auf dem Rückweg
dass Claudia uns erwartet
und das ist so ein warmes Gefühl
und das ist dann wirklich ZUHAUSE
und das geht
nur mit ihr



Dreizehn:


Unsere Mütter nerven
wie es Mütter nun mal tun
Wir lieben sie
Unsere Väter sind tot
Sie hätten sich am Tresen sicher gut verstanden
Unsere Geschwister
machen uns Sorgen
aber sie haben ihre eigenen Leben
und wir haben kein Recht
uns da einzumischen
Wir haben uns
und Eins und Eins macht immer noch Zwei
aber gerade indem wir das akzeptieren
werden wir unverwundbar
oder so

Geld- und Zukunftssorgen kennen wir zur Genüge
und die Weltlage kotzt uns an
und der Alltag kann schon mal tierisch runterziehen
aber dann
kommt – im wahrsten Sinne des Wortes – wieder so ein Augenblick
und all das ist dermaßen egal…

Ich glaube
das ist es:
Liebe

Nein
es ist nicht das Paradies auf Erden
Es ist besser


(…)


Vierzehn:


Zehn Jahre im Schnelldurchgang
und ich bin ein alter Mann geworden
sichtbar angeschlagen
aber immer noch nicht besiegt
und auf keinen Fall zu unterschätzen

Kein Ende in Sicht
und zurück auf Start
versuche ich noch immer:
Die Liebe

Es scheint zu funktionieren…




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Ein mittlerweile über fünfzig Seiten langes Liebesgedicht ist Wahnsinn.
Aber auch wahnsinnig schön.
Ich kämpfe noch mit dem Lay-Out und überlege, wie ich es unter die Leute schmeiße. Aber es soll noch dieses Jahr rauskommen... 
Vielleicht habe ich Euch ja neugierig gemacht...  

Manchmal ist Facebook auch sinnvoll:



Dichter am Telefon
(für Arnd)


Wir kannten uns per Facebook
und hatten mal per Mail oder Chat kommuniziert
und sagten uns dann irgendwann „Scheiß drauf!“
und er gab mir seine Nummer und ich rief ihn an

Wir hätten beide kein Auto mehr fahren dürfen
und das war witzig
weil meine Artikulation
schon nüchtern schwer zu verstehen ist
Trotzdem konnten wir miteinander reden
und tauchten anderthalb Stunden in unsere Seelenverwandtschaften ein

Jetzt keine Einzelheiten
Nur so viel:
Wir verstanden gegenseitig
unsere Frauen
und ihre Sorgen um uns  
Und wir verstanden uns

Seine Stimme
- ich kannte und schätzte bisher nur seine Texte im Internet –
überzeugte mich und hatte mich im Griff
Meine Stimme und meine Artikulation strengten ihn wahrscheinlich tierisch an
aber da musste er durch
und er meisterte das hervorragend

Er stand in der Küche
und stieß sich seinen Kopf an der Abzugshaube
Ich saß an meinem Schreibtisch
und wurde von eingehenden Nachrichten auf meinem Compi abgelenkt
Zu meinen Füßen Maya
meine Hündin, die Aufmerksamkeit wollte
und um ihn herum seine Katze
die das Gleiche verlangte
Zwischen uns hunderte Kilometer
und zwei Leben
die unmöglich in einem Telefonat auszutauschen sind

Manchmal
stimmt die Chemie einfach
und ein Telefonat kann magische Momente beinhalten
während er seinen Whiskey und ich mein Bier leerten

Dann ist da plötzlich
Verständnis, Wärme,
so was wie Freundschaft
und ich befand mich plötzlich in so einer Nacht
voller Magie:
Alles ist möglich
Ich bin nicht alleine mit meiner abstrusen Schreiberei
und
WIR SIND UNSCHLAGBAR
bloß dass das außer uns noch keiner mitgekriegt hat

BlaBla
ich weiß

Aber es hat Spaß gemacht
und Kraft und Zuversicht gebracht
Und ich bin mir sicher:
Wenn wir uns treffen
wird er sich nicht als der letzte Arsch präsentieren
und zusammen auf einer Lesebühne würden wir das Publikum rocken

Vielleicht werdet Ihr das demnächst erleben
der Typ heißt Arnd Dünnebacke
- er ist noch wesentlich besser als sein Name!